„Was hältst du von dem Ruderboot?“, fragte Georg und deutete auf ein kleines blaues Boot am Ende des Steges.
„Bist du schonmal auf dem Meer gerudert?“, erkundigte sich Ole.
„Nö“, sagte Georg, „aber auf jeder Menge Seen und Flüssen.“ Er sah den skeptischen Blick, mit dem sein Sohn ihn bedachte.
„Wir können natürlich auch Tretboot fahren“, unkte Georg, „aber ich dachte eigentlich, du wärst zu alt dafür.“
„Nee, Ruderboot ist schon okay.“
Georg gratulierte sich im Stillen zu seinem Schachzug. Ole hatte immer älter sein wollen und mehr zuwege bringen können, als andere ihm zutrauten.
Georg besorgte Ruder und den Schlüssel für die Kette, mit der das Boot am Steg festgemacht war. Ole kaufte in der Zwischenzeit ein paar Dosen Bier, Cracker und feste Salami. „Falls wir unterwegs hungrig werden“, hatte Georg gesagt und ihn mit der ausdrücklichen Bestellung losgeschickt. Am Abend zuvor hatte das Bier als Wogenglätter ausgezeichnete Dienste geleistet. Georg hoffte erneut darauf, denn nachdem er Ole verboten hatte, das Handy mitzunehmen, war der erst einmal wieder maulig.
„Ich will nur nicht, dass es nass wird und Schaden nimmt“, hatte Georg beteuert. Dabei ging es ihm mindestens genauso sehr darum, dass Ole sich nicht hinter dem Smartphone versteckte. Und überhaupt waren sie hier, um zu rudern. Da hätte er gar keine Gelegenheit, auf dem lästigen Teil herumzutippen.
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„Die Warnweste kannste vergessen! Die ziehe ich nicht an“, waren Oles Worte, als er mit einer Baumwolltasche vom Einkauf zurückkam.
„Nur für die ersten paar Meter“, sagte Georg und deutete zur Hütte der Bootsvermietung. „Das ist Vorschrift. Die lassen uns sonst gar nicht erst ablegen.“ Er warf Ole eine Schwimmweste zu. „Nun mach schon! Später kannst du sie meinetwegen ausziehen.“
Georg stülpte sich selbst eine Weste über, griff nach den Rudern und kletterte ins Boot.
„Vorne oder hinten? Wo willst du?“, fragte er. Ole zuckte nur die Schultern.
„Okay, dann gehst du nach hinten.“
„Was muss ich da machen?“ Ole hatte mittlerweile die Weste übergezogen und stand lustlos am Steg.
„Na was wohl? Rudern!“ Georg rollte mit den Augen. „Los, schnapp Dir deine Ruder und komm rein.“
Ole stieg ein und Georg stieß sie mit einem Ruder vom Steg ab. Sie brauchten eine ganze Weile, bis sie einen gemeinsamen Rhythmus gefunden hatten, doch dann kamen sie entlang der Küstenlinie problemlos voran.
„Kann ich diese blöde Weste jetzt ausziehen?“, fragte Ole.
„Nee, dafür müssen wir weiter weg vom Strand“, antwortete Georg. „Lass uns mal weiter raus rudern. So richtig durch die Wellen!“
Es wurde anstrengend. Sie schoben sich fluchend durch die Wogen, Wasser schwappte zu ihnen ins Boot, durchnässte ihre Hosen und Schuhe. Die Stimmung sank.
„Okay, Pause!“, sagte Georg, zog seine Ruder ein und drehte sich um. „Jetzt ist genau die richtige Zeit für ein kühles Bier.“ Er griff nach den Einkäufen. Ole schnappte ebenfalls danach, doch Georg war schneller. „Du kriegst ja auch eins“, sagte er und wühlte in der nassen Baumwolltasche. Zuerst förderte er eine Bierdose zutage und klemmte sie zwischen seine Knie. Gleich darauf schloss sich seine Hand um kühles Glas. „Was ist das denn?“, fragte er, derweil er die kleine Schnapsflasche schon heraus zog.
Er schaute zu seinem Sohn, der den Blick trotzig erwiderte. „Korn?“, fragte Georg. „Du hast von meinem Geld Korn gekauft?“
Ole zuckte die Schultern und sah demonstrativ weg. Die Wut galoppierte durch Georgs Eingeweide. Er schraubte den Flachmann auf, hielt ihn seinem Sohn entgegen und schnaubte: „Jetzt hör mir mal gut zu! Ein Bier hin und wieder finde ich in Ordnung. Aber für diesen hochprozentigen Scheiß bist du eindeutig noch zu jung!“ Er kippte den Inhalt der Flasche ins Meer und beobachtete Oles Mimik. Dessen Augen verengten sich und er atmete zischend ein.
„Weiß deine Mutter, dass du so`n Mist trinkst?“
Ole schwieg.
„Wieso haben die dir das überhaupt verkauft? Das dürfen die doch gar nicht.“
Rote Flecken erschienen auf Oles Wangen.
„Du hast das geklaut?“, fragte Georg atemlos.
Ole starrte auf den Boden des Ruderbootes.
„Antworte mir!“ Georgs Stimme hatte einen drohenden Unterton angenommen. „Hast du den Flachmann mitgehen lassen?“
Ole nickte, ohne aufzusehen.
Georg war sprachlos. Er hätte seinen Sohn gern geschüttelt, ihn angebrüllt und sogar geohrfeigt. Doch hier, in diesem schwankenden Boot, wagte er nicht, aufzustehen.
„Das hat ein Nachspiel“, sagte er darum nur und stellte die Tasche zu seinen Füßen ab. Er öffnete zischend die Bierdose und trank hektisch einige Schlucke.
„Und was ist mit mir?“, fragte Ole.
„Du kriegst kein Bier. Nach der Aktion ganz sicher nicht.“
„Ich hab‘ aber Durst“, erwiderte Ole.
„Das ist mir egal“, sagte Georg. „Hättest dir vielleicht lieber Saft mitbringen sollen, anstatt Korn.“
Zu seinem Erstaunen blieb Ole still.
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Vier Pfoten und drei Herzen – der Titel versprach kurzweilige Ablenkung. Was für ein Glück, dass der Campingplatz-Supermarkt für Bentje nicht nur eine große Portion Schokoladeneis parat hielt, sondern sie dort außerdem einen Roman für kleines Geld gefunden hatte.
Nachdem sie alle Tränen, derer sie fähig war, ausgeweint hatte, löste sich der schwere Knoten in ihrem Bauch langsam auf. Sie hatte keine andere Wahl, als auf Georg zu warten und ihn zu bitten, die Abreise vorzuverlegen. Die Rückfahrt würde sie überstehen und später würde sie ihn nie wiedersehen.
Blieb nur, die Zeit abzuwarten, bis die beiden von ihrer Bootstour zurückkämen. Wenn sie hier schon festsaß, konnte sie wenigstens versuchen, sich die Stunden so angenehm wie möglich zu gestalten. Eis und ein Schnulzenroman waren ein wohltuender Anfang, fand Bentje, streckte sich auf dem Campingstuhl in der Sonne aus und schlug das Buch auf.
*****
Es kostete Ole alle Mühe, seinem Vater nicht eines der Ruder auf den Kopf zu dreschen. Er hatte kurz überlegt, ihn aus dem Boot zu werfen und alleine zurückzurudern. Aber was, wenn ihm das nicht gelang? Durch die Wellen zu schippern war deutlich anstrengender gewesen, als Ole sich vorgestellt hatte. Und die ganze Strecke zu schwimmen, dafür war es Ole zu weit.
Der Hass fraß sich glühend heiß durch seine Adern. Nie wieder, so schwor er sich, würde er seinem Vater gegenübertreten, wenn dieses Wochenende nur erst vorbei wäre. Das einzige, woran er sich jetzt festhielt, war die Genugtuung, die er empfinden würde, sobald die Freunde von herold_wolf endlich auftauchten und seinem Vater zeigten, wo der Hammer hängt. Es wurde Zeit.
„Können wir jetzt zurückfahren?“ Ole versuchte, alle Feindseligkeit aus seiner Stimme zu nehmen, ärgerte sich dann aber darüber, wie wehleidig er klang.
Sein Vater, der soeben die leere Bierdose in dem mittlerweile klatschnassen Beutel verstaut hatte, drehte sich zu ihm um, musterte ihn einen Moment und sagte dann: „Von mir aus. Mir ist die Lust auf diesen Ausflug sowieso vergangen.“
Ole verkniff sich jede Antwort. Die Worte sollten ein verletzender Seitenhieb sein, um sein schlechtes Gewissen anheizen. Ole hätte stattdessen lieber höhnisch gelacht. Als ob er jemals Lust gehabt hatte. Er war sich nicht einmal sicher, ob sein Vater tatsächlich gern etwas mit ihm unternahm, oder eher sein Pflichtgefühl zu beruhigen versuchte.
Zum Glück schien er kein Interesse mehr an einem Gespräch zu haben. Er schnappte sich seine Ruder, sagte: „Na dann mal los“, und strengte sich an, das Boot für die Rückfahrt auszurichten.
Mit dem Rücken zum Festland blickte Ole an seinem Vater vorbei auf das offene Meer und erschrak über die Wellen, die von dort auf sie zugerollt kamen. Der Seegang schien, um einiges zugenommen zu haben. Die Gischt spritzte in sein Gesicht und das, obwohl er hinten saß. Er mühte sich und ruderte mit aller Kraft. Sein Vater vor ihm ächzte und legte sich ins Zeug, trotzdem kamen sie dem Strand kaum näher.
„Vielleicht sollten wir mehr schräg fahren und uns von den Wellen mitnehmen lassen, anstatt gegen sie anzurudern?“, schlug Ole vor.
„Ach, jetzt hast du auf einmal etwas zu sagen?“, giftete sein Vater zurück. „Wir schaffen das schon. Man darf nur nicht gleich aufgeben, wenn es mal ein bisschen schwierig wird.“
Sie ruderten und rackerten sich ab. Der ersehnte Strand blieb unerreicht. Mittlerweile war Ole komplett durchnässt. Neben dem Wasser, das mit den Wellen ins Boot schwappte, tränkte Schweiß jeden Zentimeter seines Körpers. Er hatte das Gefühl, Pfützen platschten in seiner Unterhose. Diese ganze Nummer war so beschissen und zu allem Überfluss sah es nun auch noch so aus, dass sie nie wieder das rettende Ufer erreichten.
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